Geistliches Wort zum ersten Sonntag nach Trinitatis Ein Anker der Hoffnung


Ich sitze in der Kirche St. Johannis. Der Raum ist leer, außer mir ist niemand da. Ich bin allein mit Gott und schicke meine Gedanken auf Wanderschaft. Mein Blick bleibt hängen am Altaraufsatz. Rechts stützt sich eine nach damaliger Mode gekleidete Person auf einen Stockanker. An diesem Anker beginnt meine Reise.

Es gibt elf verschiedene Ankertypen. Der älteste ist ein Dreiloch-Steinanker, der aus der Bronzezeit stammt und im Meer südlich von Plymouth Breakwater gefunden wurde. Der Anker entwickelte sich weiter, der Stockanker erwies sich dabei als besonders zuverlässig.

Immer war der Anker ein Symbol der Hoffnung. Immer war er Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit und Sorgfalt. Ich erinnere mich an ein mitternächtliches Ankermanöver mit dem Geschwader im norwegischen Rosfjord, das notwendig wurde, weil der Anker des Mutterschiffs aus dem Grund brach und das Schiff deshalb mitsamt allen Schnellbooten, die längsseits lagen, zu treiben begann. Dies und die Tatsache, dass der Fjord nur schmal war und wenig Raum zum Vertreiben bot, veranlasste alle Mann zu höchster Eile: man sah alle Dienstgrade ohne Rücksicht auf Rang und Namen einheitlich im Schlafanzug auf den Manöverstationen, um schnell größere Schäden abzuwenden.
Alles ging gut. Der neu gerichtete Anker enttäuschte die Hoffnung nicht.

Noch eine andere Verwendung des Ankers bedenke ich: der Anker in der Uhr. Dort sorgt er dafür, dass die in der Aufzugfeder gespeicherte Energie nicht in einem Zug abläuft, sondern in Schritten im Sekundentakt für genaue Zeitanzeige sorgt.

Der Anker ist immer ein Gerät der Sicherheit. Er bremst die auf ihn einstürmende Energie. Er regelt das Gleichmaß und wirkt der Zügellosigkeit entgegen. Nicht ohne Grund vertritt er in dem Dreischritt von Glaube, Liebe, Hoffnung im 1. Korintherbrief im 13. Kapitel, dem Hohelied der Liebe, die Hoffnung.

Oft wünsche ich mir, wir könnten in stürmischen Zeiten einen Anker werfen, um in dem Grund, den Gott legt, Halt zu finden und nicht davonzutreiben.

Und diesen Anker haben wir, der uns vor den Unbilden der Zeit schützen könnte und zur Ruhe kommen ließe, könnten wir ihm unsere Hoffnung anvertrauen. Wir könnten uns in Gott festhaken, bei dem wir geschützt und sicher sind. Wir könnten Kraft tanken, um zu neuen Taten aufzubrechen. Wir müssen das alles nur wirklich wollen. Es liegt bei uns, die Einladung Gottes anzunehmen und uns von ihm schützen zu lassen.

Die Kirchturmuhr schlägt. Es ist die Vater-unser-Glocke. Sie hebt mich aus meinen Gedanken und bedeutet mir, dass es jetzt wieder ums Irdische geht. Dem folge ich gerne; gestärkt stehe ich auf, verabschiede mich aus dem Raum und trete hinaus in das warme Licht der Abendsonne.

Gott lasse uns in seiner Geborgenheit mit unseren Gedanken auf kleine oder große Fahrt gehen; immer werden wir mit ihm gut und sicher reisen, immer werden wir dabei Gutes gewinnen.

Michael Marxen